Der rote Müri
1894, zehn Jahre nach der Gründung der Gemeinde, stieg ein junger Schneidergeselle im Turgi aus der Eisenbahn. Soeben war er von seinen Wanderjahren in Deutschland zurückgekehrt und hatte mit neuen Ideen im Kopf seinen Fuss wieder auf Heimatboden im Aargau gesetzt.
Am Bahnhof empfing ihn der Lärm der Rangierlokomotiven, das Geschrei der Fuhrleute vor den Güterschuppen und das Hämmern auf Ambossen in der Blächi gegenüber, aus deren Fabrikschloten sich dunkler Rauch mit demjenigen der Dampflokis vermischte. «Da bin ich genau richtig», murmelte Hermann vor sich hin und rieb sich die Hände, «hier wartet Arbeit auf mich. Ich werde die Herren das Tanzen lehren!»
Schon bei der Hinfahrt aus Richtung Brugg hatte er von weitem die BAG unten im Vogelsang bemerkt und am jenseitigen Limmatufer die Fadenfabrik Stroppel. Jetzt aber stach ihm dorfabwärts an der Limmig auch die berüchtigte Pfupfi ins Auge.
Zwei Jahre später stand der nun 22-jährige Hermann mit sechs jungen Fabrikarbeitern vor dem Gemeinderat Turgi: «Busse wegen ungesetzlicher Ruhestörung: Müri Hermann & Konsorten, Nachtlärm. Vorgeladen & erschienen sind & wurden mit Fr.- je 6.- gebüsst», ist im Protokoll zu lesen.
Hermanns eigentliche Arbeit – so zeigte sich – war nämlich neben der dürftigen Lohnarbeit als Schneidergeselle die politische Agitation unter der armen Arbeiterschaft in den Fabrikhöhlen von Turgi. Der einst so stille und unehelich geborene Bursche war den Behörden von nun an als Rädelsführer sozialistischer Umtriebe bekannt und bald auch gefürchtet.
1907 aber wurde aus dem ehemaligen Verdingbub und Bürgerschreck Hermann Müri der erste Arbeitersekretär des Kantons Aargau. Nebst vielerlei Gewerkschafts- und Parteifunktionen strebte Hermann auch eine politische Laufbahn an:
1909 wurde er Gemeinderat von Turgi, gleichzeitig Aargauer Grossrat, 1917 Vizeammann, 1919 sozialdemokratischer Nationalrat, 1925 Gemeindeammann, 1926 Grossratspräsident und – last but not least – auch mein Grossvater, der Urgrossvater meiner Kinder und Ur- Urgrossvater meiner Enkelinnen, die wir alle – wie einst er – im Turgi wohnen.