Die Frau des Fabrikanten
Berühmt ist ihr Gatte, berühmt ihre Tochter. Aber wer war Marie Meierhofer, die Ehefrau und Mutter?
In seiner zweiten Ehe heiratete Albert Meierhofer 1908 Marie Lang, Tochter des Bahnhofbuffetwirts in Baden und Künstlerin. Nach einer pompösen Hochzeit und dem Einzug in die neue Villa «Öpfelbäumli» zeigten sich aber bald die ersten Risse in dieser Beziehung: Die Ehe mit einem 21 Jahre älteren Witwer mit 8-jährigem Sohn und zwei fast volljährigen Pflegekindern, der Einzug in ein grosses Haus als zukünftige Frau Direktor und der damit verbundene soziale Aufstieg überforderten die erst 24-jährige Marie, zumal die drei mitgeheirateten Kinder die neue Stiefmutter nicht akzeptierten. Albert ging derweilen seinen Geschäften nach oder unternahm als Anhänger einer der vielen Lebensreformbewegungen jener Zeit tollkühne Bergtouren, Wildwasserfahrten, Skitouren oder Nacktwanderungen bei jedem Wetter, so dass er auch sonntags kaum je zu Hause war und seine junge Frau allein liess. Er war streng zu Marie und den Kindern, legte grossen Wert auf die Abhärtung seiner Familie an Körper und Geist, besuchte technische Ausstellungen, war fasziniert von der Fotografie und schenkte seinem Garten grosse Aufmerksamkeit. Marie hingegen wäre viel lieber Künstlerin geworden, hätte gerne mehr gezeichnet, als das mit diesem grossen Haushalt nun möglich war.
Dann aber wurde die junge Frau schwanger…
1909 kommt das erste Kind der Meierhofers zur Welt, Marie. Zwei Jahre später wird Maries jüngere Schwester Emmi geboren und 1913 ein weiteres Mädchen, Albertine – ein zartes, verwundbares Geschöpf – von allen Tineli genannt. Die Freude ist gross, wenn da nur die Sehnsucht nach einem Stammhalter nicht wäre…
Der heimliche Wunsch von Eltern und Töchtern wird 1915 erfüllt: Marie schenkt einem kleinen Robert, Bubi genannt, das Leben. Doch das Glück über dieses lebhafte Kind, das alle vergöttern, hält nicht lange an. Nur gute zwei Jahre später, 1917, ertrinkt Bubi in einem unbewachten Augenblick beim Spiel im eigenen Gartenteich. Die älteste Schwester, Marie, fühlt sich mitschuldig, obwohl sie in der Schule war.
Die drei Mädchen aber wachsen direkt jenseits des Bahndamms auf, wo meine Grosseltern Müri mit ihren Kindern wohnen. Marie ist später die Klassenkameradin meines Onkels Hans Baldinger. Die beiden gehören zum ersten Jahrgang der neu gegründeten Bez. Und das Tineli besucht mit meiner Mutter, Emilie Müri, dieselbe Klasse und ist oft bei ihr zu Hause an der Dammstrasse. Ich habe noch einen Brief von Tineli an meine Mutter, in dem es von seinen psychischen Problemen schreibt.
Denn Marie, die Mutter der drei Mädchen, kommt 1926 bei einem Flug von Basel nach Paris, wo sie ihre Tochter Marie abholen will, ums Leben. Und Albert Meierhofer ertrinkt 1931 bei einer Wildwasserfahrt auf dem Ticino. Da Meierhofers Vermögen in zu dieser Zeit wertlosen B.A.G.- Aktien angelegt ist, bleiben die Töchter – erst zwischen 17 und 21 Jahren alt – völlig mittellos zurück und wissen nicht, wie sie eine Ausbildung bezahlen können. Schliesslich wird jedoch Marie, das älteste Mädchen, nicht zuletzt wegen oder gerade trotz all dieser Schicksalsschläge, zu einer der angesehensten Kinderärztinnen der Schweiz, gründet mit einem Partner zusammen das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen und später das Marie-Meierhofer-Institut für das Kind.