100 Jahre Bezirksschule Turgi
Die Bezirksschule Turgi zwischen 1921 und 1958
1899, ein Jahr nach dem Bau des neuen Schulhauses von Architekt Moser, wurde im Turgi die Einführung einer Fortbildungsschule (Sekundarschule) beschlossen – zusätzlich zu den bereits bestehenden Bürger- und Arbeitsschulabteilungen. Doch schon nach weiteren gut zehn Jahren erwies sich das Schulhaus von 1898 wieder als zu klein, so dass 1912 auf demselben Areal ein neues Gebäude errichtet wurde, das nebst den Räumlichkeiten für eine Abwartswohnung und die Gemeindekanzlei je ein Zimmer für die Kleinkinderschule (eingeführt auf Druck von Armenverein und Frauen), die Arbeitsschule und die Handwerkerschule enthielt (Anstoss durch die Firma W. Egloff & Cie.).
Indessen vermochte die neue Fortbildungsschule, die auch von Kindern aus Nachbargemeinden besucht wurde, bald nicht mehr alle Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Da unterbreitete die Sozialdemokratische Partei den Behörden 1919 nochmals ein altes Postulat: die Gründung einer Bezirksschule. Während mehrere andere Gemeinden mit demselben Vorstoss keinen Erfolg ernteten, wurde dieser dem Industriedorf Turgi relativ rasch beschieden und die Eröffnung der neuen Schule auf Beginn des Schuljahrs 1921 festgelegt. Die Fortbildungsschule sollte in die Bezirksschule umgewandelt werden. (Das ist der Grund, weshalb Turgi bis heute keine Sekundarschule besitzt.) Die erforderlichen Räumlichkeiten standen durch Verlegung der bisher im neuen Schulhaus untergebrachten Schulen in das ältere zur Verfügung. Um den neuen Lehrern bei der im Turgi herrschenden Wohnungsnot Wohnungen bereitstellen zu können, beschloss die Gemeinde zudem den Bau eines Dreifamilienhauses, wozu die Firma W. Straub-Egloff & Cie. den Bauplatz an der heutigen Gartenstrasse schenkte.
Auf den beschlossenen Zeitpunkt hin wurde im Schulhaus von 1912 die Bezirksschule mit drei Hauptlehrern eröffnet, dem legendären Trio Dr. Eichenberger (Mathematik/Naturwissenschaften), Dr. Rosenberger (Latein/Romanische Sprachen) und Adolf Haller (Deutsch/Geschichte). Diese Lehrer konnten nun 1921 – rechtzeitig zum Beginn des Unterrichts an der Bez – die Wohnungen im sogenannten „Lehrerhaus“ beziehen. Instrumental- und Handfertigkeitsunterricht kamen später hinzu. Das Kadettencorps aber (militärisch-sportlicher Unterricht, obligatorisch für alle Buben) durfte auf Einwirken des Sozialdemokraten Eichenberger weder mit schneidigen Uniformen noch mit einem Gewehr wie an anderen Bezirksschulen ausgerüstet werden, sondern musste sich mit Windjacken und einem grauen Filzhut begnügen.
Der Andrang von Schülerinnen und Schülern aus Turgi und den zahlreichen Nachbarorten mit ihren Weilern wie Vogelsang, Gebenstorf, Ennetturgi, Untersiggenthal, Steinenbühl, Kirchdorf, Tromsberg, der Station Siggenthal war von Anfang an so gross, dass eine Klasse gleich doppelt geführt werden musste.
1942 wurde mit Klara Welte zum ersten Mal eine Frau als Lehrerin für romanische Sprachen und Latein nach Turgi gewählt. Eine kleine Sensation! Denn wissenschaftliche Hauptlehrerinnen waren damals auch an grossen Bezirksschulen eine Seltenheit und wurden bestaunt.
1945 endeten die Kriegsjahre, während derer man zeitweilig die Fünftagewoche eingeführt, die Winterferien verlängert und die Sommerzeit beschlossen hatte, um Heizmaterial zu sparen, und fast alle Schulzimmer von Truppen belegt waren.
Und dann bekam auch Turgi den allgemeinen Bauboom zu spüren…
Barbara Baldinger
(Quelle: Adolf Haller, „Chronik von Turgi“, Hsg. Gemeinde Turgi, anlässlich 50 Jahre Turgi 1934 Fotos: Barbara Baldinger privat)
Die Bezirksschule zwischen 1958 und 2021
Die steigenden Schülerzahlen im Zuge der Bevölkerungszunahme führten automatisch zu beengten Verhältnissen in den Schulräumen. So wurden sowohl Landkauf wie auch Kredit zum Bau eines neuen Bezirksschulhauses im «Gut» – wie üblich nach einigen Querelen – bewilligt. 1958 fand die Einweihung in Anwesenheit des Erziehungsdirektors und unter dem erstmaligen Geläut der eben fertig gestellten katholischen Kirche statt.
Der Bezug des neuen Schulhauses bedeutete eine markante Zäsur. Eine Zeit des Umbruchs und Neubeginns war angebrochen, der Generationenwechsel eingeleitet: Die ersten Hauptlehrer wie Adolf Haller und Dr. Eichenberger wurden pensioniert. Wegen der vielen Lehrerwechsel gingen die folgenden Jahre aber nicht reibungslos vonstatten. Hinzu kam die Tatsache, dass die meisten Schülerinnen und Schüler aus den Nachbargemeinden stammten, was zu Diskussionen um die Höhe des Schulgeldes führte. Auch die Gründung von mehreren neuen Bezirksschulen in Turgis Umgebung – Nussbaumen, Endingen, Windisch – machte die Planung von Klassengrössen nicht einfacher, wusste man doch oft nicht rechtzeitig, welche Schülerinnen welche Bezirksschule wählten – so lange, bis die Gemeinde Turgi Schulverträge mit umliegenden «Zuliefergemeinden» (wie z.B. Untersiggenthal) schloss.
Der 19. Juni 1971 war ein weiterer Meilenstein in Turgis Schulgeschichte: Mit einem Jugendfest weihte die Bevölkerung den Erweiterungsbau (Trakt C) der Bezirksschule ein und feierte gleichzeitig das fünfzigjährige Bestehen der Schule. Zu diesem Ereignis wurde der «Verein Ehemaliger Bezirksschüler» ins Leben gerufen und eine Festschrift erinnerte an die wechselvolle Geschichte unserer Bez. Wenige Jahre später konnte trotz grosser Kostenüberschreitung auf demselben Gelände auch eine Mehrzweckhalle mit Doppelturnhalle errichtet werden.
Der Bestand an Schülerinnen und Schülern in den folgenden Jahrzehnten schwankte teilweise stark, so dass hin und wieder die Frage im Raum stand, ob die Schule noch überlebensfähig sei. Die ständigen Neuerungen im Schulwesen – neue Fächer und Lehrpläne, Kürzungen von Unterrichtsstunden in bestimmten Fachgebieten, der Beginn des Computerzeitalters, mehrere Umbauten und v.a. die Einführung von Schulleitungen – machten das Schulleben nicht einfacher. Trotzdem hielten mehrere Lehrerinnen und Lehrer mit Vollpensum über Jahre, sogar Jahrzehnte, der Schule die Treue.
Ab 2011 war dann Schluss mit der «Schule am Fluss». Die private Stiftung Aargauische Sprachheilschule konnte auf dem Schulareal der Bez ein modernes Gebäude errichten, womit das Pausenareal verkleinert wurde und Sicht und Anschluss ans Limmatufer für die Schülerschaft der Bez ein Ende hatten.
Weitere zehn Jahre später durfte unsere kleine, überschaubare Bez noch ihren 100. Geburtstag feiern, bevor sie am 1.1.2024 an die Stadt Baden übergeht.
Barbara Baldinger
(Quelle: Jürg Haller, Teil 2 der «Chronik von Turgi», Hsg. Gemeinde Turgi, anlässlich 100 Jahre Turgi 1984 Fotos: Barbara Baldinger privat)